Die Verschränkung von Science Fiction und Groteskem in Film und Literatur der Romania
Stadt: Würzburg
Frist: 2025-05-26
Beginn: 2025-09-09
Ende: 2025-09-11
Das zentrale Charakteristikum des Grotesken liegt bekanntlich darin, Vertrautes in eine ungewöhnliche, Schaudern und/oder Lachen erzeugende Form zu überführen, wozu es sich nach Peter Fuß dreier Grundverfahren bedient, die allesamt auf Prinzipien der Verfremdung beruhen: Verkehrung, Verzerrung und Vermischung (Fuß 2001). Über diese verfremdende Darstellung ergibt sich eine unmittelbare – und dennoch bislang weder systematisch erörterte noch in ihrer Geschichte umfassend beschriebene – Verbindung zur Gattung der Science Fiction, die etwa Darko Suvin in seiner klassischen Studie als die Kunst der „erkenntnisbezogenen Verfremdung“ definiert (1979, S. 24). Damit kann man einen ersten gewichtigen Grund erkennen, warum sich gerade die Science Fiction immer wieder des Grotesken bedient, welches speziell in Gestalt von fremdartigen Spezies erscheint, mit denen die Menschheit in (gewollten oder ungewollten) Kontakt gerät. Stellt man weiterhin in Rechnung, dass es der Science Fiction, zumindest in ihrer ernsthaften Form, seit jeher darum geht, das Wesen des Menschen näher zu fassen, so erklärt sich der bemerkenswerte Einsatz grotesker Figuren in diesem Genre noch weiter. Denn wenn das Groteske nach Fuß vornehmlich dazu dient, bestehende Gewissheiten zu erschüttern und vermeintlich unverrückbare Kategorien in Frage zu stellen, so dienen der Science Fiction gerade die grotesken Fremden dazu, das Eigene, das „Mensch¬liche“ neu zu vermessen und schärfer zu konturieren. Just dieses Thema hat in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen, da technische Innovationen mehr und mehr in der Lage scheinen, den Menschen in seinem Wesen zu beeinflussen, vielleicht gar nachhaltig zu verändern, wie etwa mit großer Schärfe im Hinblick auf die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik und der Gentechnologie diskutiert wird (vgl. Habermas 2001).
Seit jeher bildet die Fiktion einen privilegierten Raum, um derartige Diskussionen auszufechten, die aufgrund neuer Erkenntnisse einen potenziell anderen Blick auf uns selbst anregen. Dabei wird sicher nicht zufällig immer wieder auf die Science Fiction, die wesenhaft mit technologischen Innovationen und wissenschaftlichen Erkenntnissen verbunden ist, und das Groteske, das wie kaum ein anderes Verfahren gängige Zuschreibungen zu problematisieren vermag, zurückgegriffen – und oft genug beides unauflöslich miteinander verschränkt. So kombiniert etwa Cyrano de Bergerac vor bald 400 Jahren in seiner Mond- wie Sonnenreise das Schema der Weltraumreise mit Spezies, die gerade aufgrund ihrer vertraut-unvertrauten Nähe zum Menschen dessen Status in einem enorm vergrößerten Kosmos hinterfragen. In der Gegenwart ist das Bestreben, die Essenz des Menschen über einen grotesk überformten Science Fiction-Kosmos zu fassen, vielleicht am offenkundigsten in den Filmen von Jean-Pierre Jeunet, der beispielsweise in Alien Resurrection eine beispiellose Annäherung von „Xenomorph“ und Mensch inszeniert und in BigBug über die Frage reflektiert, was den perfektionierten Androiden vom Menschen trennt.
Diese beiden Beispiele mögen bereits andeuten, dass der Zusammenhang von Groteskem und Science Fiction auf unserer Tagung anhand von literarischen Werken, Filmen und Serien aus der Romania ohne jede zeitliche oder geographische Beschränkung diskutiert werden soll. Ausdrücklich erwünscht sind Beiträge zur außereuropäischen Romania und zu weiteren Medien (etwa dem Comic) sowie Vorträge, die – gemäß dem Wesen des Grotesken – verschiedene Fachdisziplinen zusammenspannen.
Um einer noch ausstehenden ebenso systematischen wie historischen Beschreibung der Verschränkung von Science Fiction und Groteskem Vorschub zu leisten, mögen – neben vielen weiteren – folgende Fragen einen ersten Anstoß geben:
- Lässt sich die Abgrenzung der Science Fiction zu benachbarten Gattungen (etwa der Utopie oder dem Horror) über den Einsatz des Grotesken schärfer fassen?
- Wie kann das Groteske dazu dienen, nicht-westliche Vorstellungen zu repräsentieren und zu visualisieren und die oft mit einer eurozentrischen Fortschrittsideologie verknüpfte Science Fiction zu nuancieren?
- Inwieweit treibt eine zunehmende Virtualisierung technischer Vorstellungen und Erfindungen die Science Fiction vom, traditionell eng mit dem Körperlichen verbundenen, Grotesken weg – oder im Gegenteil zu ihm hin?
- Lässt sich der Status des „Monsters“, der in so vielen Science Fiction-Werken eigene Ängste und Unsicherheiten auf das Fremde projiziert über das Groteske klarer bestimmen?
- Inwieweit laden gerade das, dezidiert auf die Überwindung etablierter Grenzen zielende, Groteske, und die, nicht zuletzt auf die Überschreitung der vorgegebenen Ordnung gepolte, Science Fiction dazu ein, transnationale Werke zu schaffen?
- Welche Probleme können sich aus der Kombination einer sich nach außen als rational darstellenden Gattung wie der Science Fiction mit dem Grotesken ergeben, das die Gültigkeit rein rationaler Kategorien zumindest hinterfragt?
- Inwieweit besteht ein immanenter Zusammenhang zwischen Krise/Krisenerfahrung nicht nur zum Grotesken (auf den etwa Kayser abhebt), sondern auch zur Science Fiction und inwieweit wirken sich Groteskes und Science Fiction auf fiktionale Lösungsansätze aus?
Die Tagung findet vom Dienstag, 9.9. bis Donnerstag, 11.9.2025 an der Universität Würzburg statt.
Vorschläge für Beiträge (bevorzugt in deutscher, französischer oder spanischer Sprache) werden mit Titel und einem knappen Abstract bis zum 26.05.2025 erbeten an matthias.hausmann@uni-wuerzburg.de.
Die Information über die Annahme der Beiträge erfolgt bis zum 02.06.2025.
Die Universität Würzburg kann die Teilnahme an der Tagung mit einem Reisekostenzuschuss von 150,- Euro pro Person unterstützen.
Auswahlbibliographie
Astruc, Rémi, Le renouveau du grotesque dans le roman du XXe siècle : essai d’anthropologie littéraire, Paris 2010.
Bachtin, Michail, L’œuvre de François Rabelais et la culture populaire au Moyen Age et sous la Renaissance, Paris 1970.
Csicsery-Ronay, Istvan, „On the Grotesque in Science Fiction“, in: Science Fiction Studies 29 (2002), 71-99.
Fuß, Peter, Das Groteske. Ein Medium des kulturellen Wandels, Köln 2001.
Kayser, Wolfgang, Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung, hg. von Günter Oesterle, Tübingen 2004.
Habermas, Jürgen, Die Zukunft der menschlichen Natur – auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, Frankfurt am Main 2001.
Hausmann, Matthias; Türschmann, Jörg (Hrsg.), Das Groteske in der Literatur Spaniens und Lateinamerika, Göttingen 2016.
Hersant, Patrick, „De l’autre côté du miroir : humanité et science-fiction“, in: André Topia; Carle Bonafous-Murat; Marie-Christine Lemardeley (Hrsg.), L’inhumain, Paris 2004, 215-223.
Scholl, Dorothea, Von den „Grottesken“ zum Grotesken. Die Konstituierung einer Poetik des Grotesken in der italienischen Renaissance, Münster 2004.
Seeßlen, Georg; Jung, Fernand, Science Fiction. Geschichte und Mythologie des Science-Fiction-Films, 2 Bde., Marburg 2003.
Suvin, Darko, Poetik der Science Fiction. Zur Theorie und Geschichte einer literarischen Gattung, Frankfurt 1979.
Beitrag von: Matthias Hausmann
Redaktion: Ursula Winter